Manchmal reicht ein Blick auf die Uhr, um zu spüren: Die Zeit läuft. Und beim Glücksspielstaatsvertrag ist dieses Ticken längst nicht mehr nur symbolisch. 2021 mit großem Anspruch eingeführt, liegt der Vertrag bereits wieder unter dem politischen Röntgengerät, durchleuchtet, kritisiert, hinterfragt. Spätestens 2028 soll etwas Neues her, daran zweifelt inzwischen kaum noch jemand, der sich in der Branche oder Politik mit dem Thema beschäftigt.
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Wird 2028 ein Wendepunkt?
Dass 2028 nicht irgendeine Jahreszahl ist, liegt am Aufbau des Vertrags selbst. Der Glücksspielstaatsvertrag 2021, damals noch als lang erwartete Neuregelung gefeiert, enthält nämlich eine eingebaute Sollbruchstelle: eine Evaluierungsklausel. Diese sieht vor, dass der Vertrag 2026 auf Herz und Nieren geprüft wird.
Dieses Datum ist allerdings längst nicht mehr das Einzige, das Druck erzeugt. Denn bereits jetzt, deutlich vor der offiziellen Überprüfung, mehren sich Stimmen, die von eklatanten Problemen sprechen. Und es sind nicht nur die üblichen Verdächtigen aus der Glücksspielbranche.
Landesinnenminister, Juristen, Anbieter und sogar einzelne Verbraucherschützer sind sich überraschend einig: So wie es ist, bleibt es nicht. Die 2026er-Evaluation wird zur Pflichtveranstaltung, 2028 zur Deadline. Wer bis dahin nicht liefert, riskiert einen Flickenteppich aus Notlösungen und Parallelmärkten mit dem Effekt, dass Spieler weiter Wege suchen, um Limits zu umgehen, technische Sperren zu überlisten oder schlicht OASIS im Casino umgehen. Denn genau das passiert längst, wenn der legale Markt unattraktiv wird. Und genau deshalb steht dieser Vertrag nicht nur zur Diskussion, sondern vor einem Scheideweg.
Ein Vertrag mit Stolpersteinen
Die Theorie war gut gemeint: Spielsucht verhindern, Schwarzmarkt eindämmen, legale Anbieter in klare Regeln packen. Die Praxis? Nun ja, sagen wir, sie hat ihre Eigenheiten. Da wäre zum Beispiel das Einsatzlimit von 1 Euro pro Spin bei Online-Slots. Klingt vernünftig, wirkt auf viele Nutzer aber eher wie ein künstlicher Bremsklotz. Auch die vorgeschriebene Pausenzeit von fünf Sekunden pro Spielrunde sorgt weniger für Entschleunigung als für genervtes Wegklicken.
Wer dann noch versucht, mehr als 1.000 Euro im Monat einzuzahlen, erlebt das bürokratische Wunderwerk des deutschen Verwaltungsapparats: nur mit Nachweis, zentraler Genehmigung und jede Menge Kritik. Und während illegale Anbieter munter mit Boni, Rabatten und VIP-Programmen werben, dürfen legale Anbieter nicht einmal ihren Stammkunden einen Cent Extra-Cash in Aussicht stellen.
Hinzu kommen langwierige Lizenzverfahren, technische Auflagen mit hohem Integrationsaufwand und eine gewisse behördliche Unentschlossenheit bei der Interpretation von Detailregelungen. Für Anbieter bedeutet das: Viel Aufwand, wenig Ertrag. Für Nutzer: wenig Spielkomfort, keine echten Anreize. Und für den Schwarzmarkt ein gefundenes Fressen.
Illegal, aber beliebt
Wo legale Anbieter durch Vorschriften gebunden sind, schlägt die Stunde der Schattenmärkte. Laut verschiedenen Branchenschätzungen werden bis zu 80 Prozent des Online-Glücksspielumsatzes in Deutschland von illegalen Anbietern generiert. Eine Zahl, die nicht nur schockiert, sondern vor allem zeigt, wie wenig Kontrolle der Staat in Wahrheit hat.
Diese Anbieter sitzen häufig im Ausland, verfügen über keine deutsche Lizenz und halten sich weder an Limits noch an Jugendschutzregeln. Dennoch sind sie für Nutzer oft nur einen Mausklick entfernt. IP-Blocking funktioniert nur sporadisch, VPNs umgehen jede Sperre, Zahlungsdienstleister arbeiten teilweise weiterhin mit dubiosen Plattformen zusammen.
Und das perfide daran: Vielen Nutzern ist gar nicht bewusst, dass sie sich auf illegalen Seiten bewegen. Das Layout wirkt professionell, die Spielauswahl ist gigantisch, Bonusangebote glänzen. Die GGL, also die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder, kämpft zwar, hat aber ohne klare gesetzliche Grundlagen für technische Sperren wenig Handhabe. Die Folge: Der Vertrag will Kanalisierung, doch das Wasser sucht sich längst seinen eigenen Weg.
Warum die Politik zum Handeln gezwungen ist
Die Situation ist aus Sicht der Politik mehr als nur ungemütlich. Landesinnenminister schlagen bereits vor der regulären Evaluation Alarm. Der Vertrag verliert seine Steuerungswirkung, sei wirtschaftlich nicht tragfähig und öffne dem Schwarzmarkt Tür und Tor. Auch Gerichte mischen sich ein. Das Finanzgericht Hessen hat Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der derzeitigen Einsatzbesteuerung geäußert. Ein steuerliches Minenfeld mit Sprengkraft.
Auf Bundesebene ist das Thema ebenfalls angekommen. Im Koalitionsvertrag wurde das Ziel formuliert, illegales Online-Glücksspiel stärker zu bekämpfen. Und es wird deutlich: Wer jetzt nicht handelt, riskiert nicht nur wirtschaftlichen Schaden, sondern auch einen politischen. Denn eine Regulierung, die in der Realität nicht greift, untergräbt das Vertrauen in staatliche Steuerungsfähigkeit.
Was sich konkret ändern könnte
Die Liste möglicher Reformmaßnahmen liest sich wie ein Maßnahmenkatalog aus der Branche selbst, aber sie findet zunehmend politische Unterstützung. An erster Stelle steht die Steuer: Statt wie bisher den Einsatz zu besteuern, schlagen viele eine Umstellung auf den Bruttospielertrag vor. Klingt technisch, bedeutet aber: Anbieter zahlen nur Steuern auf das, was sie tatsächlich verdienen, nicht auf das, was Spieler einsetzen.
Auch beim Thema Limits ist Bewegung möglich. Höhere Einsatzgrenzen, kürzere Pausenzeiten und individuell anpassbare Einzahlungslimits stehen zur Diskussion. Technisch ließe sich das längst umsetzen, etwa durch Bonitätsprüfungen oder durch smarte Spielersysteme, die riskantes Verhalten frühzeitig erkennen.
Darüber hinaus könnte die GGL mit klaren rechtlichen Befugnissen für IP-Blocking ausgestattet werden. Auch ein Lizenzregister mit erkennbarem Gütesiegel wäre denkbar, damit Nutzer überhaupt wissen, auf welcher Seite sie sich bewegen. Und nicht zuletzt: Der ganze Genehmigungsprozess müsste schneller und transparenter werden, vielleicht durch eine Art Vorzertifizierung von Anbietern und Spielen.
Wer am Reformtisch sitzt
Das Problem an Staatsverträgen ist ihre Schönheit und ihr Fluch zugleich: Sie müssen von allen Bundesländern gemeinsam beschlossen und ratifiziert werden. Und wer schon einmal versucht hat, sechzehn Ministerpräsidenten auf eine Linie zu bringen, weiß: Einfach wird das nicht.
Einige Länder, etwa Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen, setzen auf eine wirtschaftsfreundlichere Regulierung. Andere, wie Bayern oder Bremen, pochen stärker auf Restriktionen. Die GGL kann beraten, mahnen und kontrollieren, aber sie kann den Vertrag nicht ändern. Das ist Sache der Länderchefs. Die Branche bringt sich über Verbände und Gutachten in die Debatte ein, allerdings mit wechselndem Einfluss.
Reform mit Hindernissen
Selbst wenn sich alle einig wären, wäre eine Reform kein Spaziergang. Jeder Staatsvertrag muss in sechzehn Parlamenten durchgewunken werden. Und das bedeutet: politische Debatten, regionale Besonderheiten, Wahlkampfgetöse.
Zudem stehen Interessen gegeneinander. Verbraucherschützer fordern strenge Regeln, Anbieter wirtschaftliche Spielräume, der Fiskus stabile Einnahmen. Auch auf EU-Ebene könnte es Gegenwind geben, etwa wenn Eingriffe als unverhältnismäßig gelten.
Ein neues Gleichgewicht
Am Ende geht es um Balance. Ein neuer Staatsvertrag muss drei Ziele gleichzeitig erreichen: effektiver Spielerschutz, wirtschaftlich tragfähige Rahmenbedingungen für legale Anbieter und ein starkes Bollwerk gegen die Technik des Schwarzmarktes. Dafür braucht es keine Revolution, sondern einen realistischen Blick auf das Spielverhalten moderner Nutzer.
Ein zeitgemäßer Vertrag würde technische Möglichkeiten besser nutzen, etwa durch Frühwarnsysteme, intelligente Limitanpassungen und transparente Gütesiegel. Er würde legale Anbieter nicht gängeln, sondern befähigen. Und er würde den Unterschied zwischen legal und illegal so deutlich machen, dass niemand mehr aus Versehen auf der falschen Seite landet.